Von Bielefeld zum Bauhaus

Theodor Steinkühler (Bildmitte) als Student am Bauhaus Weimar 1919
Theodor Steinkühler (Bildmitte) als Student am Bauhaus Weimar 1919

David Riedel (Künstlerischer Leiter Peter-August-Böckstiegel-Haus, Werther) im Eröffnungsvortrag zur Ausstellung "Theodor Steinkühler und das frühe Bauhaus" am 25.Juni 2017 im HeinrichNeuyBauhausMuseum in Steinfurt-Borghorst:

 

[...] Steinkühler zieht Ende Januar 1919 nach Weimar. Er hat sich um Aufnahme an der dortigen Kunstakademie, der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule, bemüht. Warum Steinkühler Weimar als Ort seiner weiteren Ausbildung wählt, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Am 14. Januar 1919 hat er eine Bewerbung geschickt, die Arbeitsproben in Form von Kunstwerken, einen Lebenslauf, ein polizeiliches Führungszeugnis und Bestätigungen seiner Ausbildung in Bielefeld umfasst.

 

Bereits am 7. Februar erhält Steinkühler die Zusage für einen Platz in der „Naturklasse“ des Malers und Graphikers Walter Klemm (1883-1957), zweiter Lehrer wird der Bildhauer Richard Engelmann (1868-1966). Schon bald nach Studienbeginn Anfang April wird die Kunstschule jedoch mit der ehemaligen Kunstgewerbeschule in Weimar zusammengelegt und unter der Devise „Architekten, Bildhauer Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück!“ als Staatliches Bauhaus im April 1919 neu begründet. Direktor des Instituts ist der Architekt Walter Gropius. Steinkühler wird am Bauhaus immatrikuliert und am 27. Juni „difinitiv aufgenommen“.

 

Die ersten Wochen und Monate des Bauhauses bieten jedoch ein verwirrendes Bild rechtlicher und institutioneller Zuständigkeiten. Die Zusammenführung zweier Kunstschulen und ihrer Schüler verläuft nicht reibungslos, denn zu den etablierten Lehrkräften kommen neu berufene „Bauhaumeister“. Steinkühlers Lehrer Klemm übernimmt am Bauhaus von 1919-1921 die „Graphische Druckerei“ (Nachfolger wird Lyonel Feininger), Engelmann die „Steinbildhauerei und Gipsgießerei“ (Nachfolger wird Oskar Schlemmer). Beide, als Vertreter traditioneller akademischer Strukturen, stoßen bald auf Widerstände und scheiden mit dem Wintersemester 1920/21 aus. Sie werden ab 1921 an der neu gegründeten Staatlichen Hochschule für bildende Kunst unterrichten.

 

Wahrscheinlich hat Steinkühler in seiner Weimarer Zeit neben den Klassen von Klemm und Engelmann auch den „Vorkurs“ besucht. Dieser Kurs für alle Schüler war für das Verständnis des Bauhauses bedeutsam – Schwerpunkt waren das Naturstudium, die Materiallehre, das Studium der alten Meister und Aktzeichnen –  und wurde von 1919-1923 von Johannes Itten (1888-1967) geleitet. Zwei Arbeiten Steinkühlers, die unmittelbar mit der frühen Entwicklung der Schule zu tun haben, sind aus dieser Zeit erhalten: Im Juni 1919 nimmt er an einem Wettbewerb zur Gestaltung des Signets der Schule teil, sein abgelehnter Entwurf befindet sich heute im Thüringischen Landesarchiv und auch ein weiterer Holzschnitt, von dem sich nur ein Teil des Druckstocks erhalten hat, zeigt den Schriftzug der Schule.

 

In diesem ersten Jahr seines Studiums in Weimar bleibt seine Verbindung mit Bielefeld bestehen: Er stellt mit der dort ansässigen Künstlergruppe „Rote Erde“ aus, neben zwei Ölgemälden zeigte er neun graphische Arbeiten.

Gleichzeitig wird Steinkühler im November 1919 in den „Wurf“ berufen, eine von Hermann Freudenau und Herbert Hangeler ins Leben gerufene Gruppierung, die versucht, Kontakte zur deutschen Avantgarde zu knüpfen und für die auch eine Verbindung ans Bauhaus von Interesse gewesen sein muss. So verfassen die Mitglieder des „Wurfs“ im Januar 1920 einen offenen Brief: „Gegen das Staatliche Bauhaus in Weimar (...) ist in der Weimarer Bürgerschaft eine kleinliche und hässliche Kampagne in Szene gesetzt worden, die sich gegen eine wertvolle künstlerische Idee wieder einmal der übelsten nationalistischen Mittelchen  bedient (...) Wir wollen mit dieser Veröffentlichung den Künstlern in Weimar unsere herzliche Sympathie ausdrücken.“ Steinkühler war dabei nicht der einzige Bielefelder am Bauhaus: Wilhelm Schabbon leitete 1920 für kurze Zeit die Goldschmiedeklasse, der Architekt Erich Consemüller und der Silberschmied Wolfgang Tümpel studieren dort später ebenfalls. Weitere Westfalen am Bauhaus sind jedoch Josef Albers, Fritz Winter, Fritz Levedag und Heinrich Neuy.

Steinkühlers Zeit am Bauhaus währt jedoch nur ein Jahr: Schon im Frühjahr 1920 muss er sich für das Sommersemester wegen einer Krankheit der Mutter beurlauben lassen, kurze Zeit später zwingt ihn der eigene, schwer angegriffene Gesundheitszustand dazu, sich auch für das Wintersemester 1920/1921 abzumelden. Die erhaltene Bestätigung ist von fast allen Lehrern, darunter Johannes Itten, Georg Muche und Lyonel Feininger sowie von Walter Klemm und Richard Engelmann unterzeichnet. Dies verrät nichts von den bereits erwähnten Diskussionen in der Schule, von der Opposition von neuen gegen alte Kräfte und den daraus resultierenden Verwerfungen unter den Studenten. All dies erlebt Steinkühler nicht direkt mit, bleibt aber über das Leben am Bauhaus durch eine intensiv geführte, bislang unveröffentlichte Korrespondenz mit Mitschülern informiert.

 

Steinkühler holt im Frühjahr 1920 seine am Bauhaus entstandenen Werke ab und kehrt nach Bielefeld zurück. Doch auch in Bielefeld kann er nicht mehr am Kunstleben teilnehmen. Denn sein „Lungenleiden, hervorgerufen durch Dienstbeschädigung – Folgen der im Kriegsdienst erlittenen Halsdrüsenentzündung“ schwächt ihn so sehr, dass er am 31. Mai 1920 einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente stellen muss und bis zu seinem Tod das Haus und den Garten der Eltern nicht mehr verlassen kann. Aus seinen Briefen wird deutlich, dass „Spaziergänge und Ruhe“ verordnet worden sind, um sein schwaches Herz zu schonen, anfängliche Hoffnung auf Rückkehr nach Weimar weicht mehr und mehr Plänen von Kuraufenthalten nach der Genesung. Am 19. Februar 1921, im Alter von nur 26 Jahren, stirbt Steinkühler. Eine Woche später schickt Walter Gropius ein Telegramm an dessen Eltern und übermittelt das Beileid aller „Meister und Gesellen“, die übliche – im Sinne der Schule bewusst gewählte – Bezeichnung für Professoren und Schüler. Zwei Tage später erhält Gropius Post von Hermann Freudenau, der ihn bittet, die zurückgelassenen Werke Steinkühlers an das Elternhaus zurückzuschicken. Im Bauhaus befindet sich jedoch nur noch eine Feldstaffelei, die wenig später nach Dornberg gesandt wird.

 

 

Hanns Hoffmann, der 1920 eine Portraitbüste Steinkühlers geschaffen hatte, fertigt auch die Grabstele, die noch heute auf dem Dornberger Friedhof steht. Der Nachruf von Heinrich Becker, ein Förderer der Künstlers und ab 1929 Leiter des Städtischen Museums Bielefeld, endet mit den Worten: „Hoffentlich wird auch die Stadt in den Besitz einiger Blätter gelangen, damit der Künstler Steinkühler auch in kommenden Zeiten lebendig bleibt. Diejenigen, die ihn gekannt haben, werden den feinsinnigen Menschen ohnehin nicht vergessen.“